Interview mit Botschafter Stephan Röken am 31. März 2021 in Dakar 

Botschafter Stephan Röken

Botschafter Stephan Röken wird Ende Juli 2021 den Senegal nach vier Jahren verlassen. Während dieser Zeit hat er eine einmalige Wende der deutsch-senegalesischen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen erlebt und mitgestaltet.

SenGermany: Herr Botschafter, bis vor zwei Jahren hatte die Bundesrepublik Deutschland ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Senegal auf die erneuerbaren Energien begrenzt. Was hat sich inzwischen geändert?

Botschafter Röken: Bis 2019 bildete die Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien den Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Senegal. Seit 2019 sind wir in eine neue Ära eingetreten, als zwischen dem Entwicklungsminister Gerd Müller und dem senegalesischen Minister für Wirtschaft, Planung und Kooperation Amadou Hott ein Abkommen über eine Reformpartnerschaft geschlossen wurde. Dieses Instrument der Bundesregierung zeichnet sich dadurch aus, dass es die Partner vor Ort bei der Durchführung der eigenen Reformprogramme unterstützt. Deutschland und Senegal haben sich hier auf vier Themen geeinigt. Ziel ist es, die privatwirtschaftliche Entwicklung des Landes zu fördern, Arbeitsplätze zu schaffen und Wertschöpfung anzukurbeln. Damit soll das Land auch als Investitionsstandort attraktiver werden.

SenGermany: Wie werden diese Reformprozesse artikuliert?

Botschafter Röken: Die vier Reformfelder sind Arbeitsrecht, Landrecht, Berufsbildung und Finanzierung für kleinere und mittelständige Unternehmen. Im letzten Jahr hat Deutschland Senegal mit Zusagen von 178 Millionen Euro unterstützt. Das ist eine enorme Summe, auch im afrikanischen Vergleich. Davon waren 100 Millionen eine Budgethilfe für die Hilfsmaßnahmen, die direkt im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise durchgeführt wurden. Die anderen 78 Millionen verteilen sich auf die einzelnen Felder der Reformpartnerschaft, die erneuerbaren Energien sowie Projekte zur Fluchtursachenbekämpfung („Réussir au Sénégal“). Uns geht es vor allem darum, in diesem Jahr bei der Berufsbildung voranzukommen.

SenGermany: Wenn es jetzt bei der Berufsbildung vorwärtsgehen soll, haben Sie schon Branchen im Visier?

Botschafter Röken: Unsere Durchführungsorganisationen (GIZ und KfW) identifizieren mit den senegalesischen Partnern die Branchen, die am vielversprechendsten für die Schaffung von Arbeitsplätzen sind. Ein Beispiel ist die Kühltechnologie - jeder weiß, dass Fisch im Senegal fast nur an der Küste verkauft wird, weil es keine Möglichkeit gibt, ihn lebensmittelsicher bis ins Landesinnere zu transportieren. Unabhängig von der Branche bleibt aber die wichtigste Frage, wie wir die Berufsbildung am besten an den Arbeitsmarkt koppeln. Eine sehr gute Ausbildung nützt wenig, wenn die Ausgebildeten später aber keinen Job finden.

Berufsschule für die Fischereiindustrie

SenGermany: In dem Bereich haben wir im letzten Jahr eine Berufsschule für die Fischereiindustrie besichtigt. Sie wurde 1963 gegründet. Davon gibt es auf dem gesamten afrikanischen Kontinent nur drei: Marokko, Südafrika und Thiaroye im Senegal. Nach Thiaroye kommen sogar Studenten aus den Komoren, weil es das einzige frankophone Ausbildungszentrum Afrikas ist. Wir wollen diese Berufsschule mit Nordenham, Niedersachsen, zusammenbringen. Und die Firma Ziegra, die Eismaschinen herstellt, kommt auch aus Isernhagen bei Hannover in Niedersachsen. Wir wollen eine Partnerschaft zwischen diesem Bundesland und der Berufsschule im Senegal unterstützen.

Botschafter Röken: Das halte ich für eine gute Initiative. Wir bieten im Senegal das Globalprogramm der deutschen Entwicklungszusammenarbeit „Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung“ an. Damit werden Firmen unterstützt, die entweder bereits Partner im Senegal haben oder sich hier mit Firmen zusammentun wollen. Die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, AfricaGrow und AfricaConnect sind daran auch beteiligt.

SenGermany: Kaum ein Land dieser Welt ist so zentralistisch verwaltet wie Senegal, und Deutschland hatte eine Zeitlang die Dezentralisierung gefördert. Dann wurde die Dezentralisierung von einem zentralistisch regierten Land wie Frankreich übernommen. Über 50% der Wirtschafsleistung wird im Großraum Dakar erwirtschaftet, und das Hinterland bleibt öde. Vom föderalistischen Deutschland aus gesehen, klingt das merkwürdig. Ist eine Wiederaufnahme der Dezentralisierung in der deutsch-senegalesischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit geplant?

 

Diskussion über ein Projekt von SenGermany e.V. im Senegal im Rahmen eines Programmes vom Centrum für Internationale Migration und Entwicklung

Botschafter Stephan Röken: Die Dezentralisierung staatlicher Strukturen ist immer ein politischer Prozess. In Deutschland stützen wir uns auf eine föderale Tradition mit großer Eigenständigkeit der Kommunen. Mittlerweile hat die senegalesische Regierung wichtige Programme zur ländlichen Entwicklung in Gang gesetzt. Deutschland ist mit einem Programm zur Elektrifizierung von 300 Dörfern beteiligt.

SenGermany: Gibt es im Rahmen der restlichen 78 Millionen Entwicklungshilfeprogramme, die von der Bundesregierung genehmigt wurden, Fördermittel für die Privatwirtschaft, die sich ins Landesinnere entwickeln will?

Botschafter Röken: Die von mir erwähnte „Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung“ ist ein Programm, das nicht nur mit staatlichen Strukturen zusammenarbeitet, sondern auch direkt mit Unternehmen. Ein Beispiel ist die Hansen Korbflechterei, die den Wirtschaftszweig der Korbflechterei in Podor im Norden Senegals an der Grenze zu Mauretanien entwickeln will. Gefördert werden hier vor allem Unternehmen, die das Potential haben, Arbeitsplätze zu schaffen.

SenGermany: Sie haben gesehen, wie nach den Erntesaisons Obst und Gemüse unter den Bäumen verfaulen, weil sie in den ländlichen Gebieten nicht verarbeiten werden können. Die Leute bleiben arm, obwohl sie auf einem Reichtum sitzen.

Botschafter Röken: Ohne selbst Experte in diesem Sektor zu sein, denke ich, dass es ein Mangel an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen gibt. Es geht um Fertigkeiten, die erlernt werden können. Möglichkeiten der Finanzierung gibt es bereits. Das ist eines der vier Themen unserer Reformpartnerschaft. In der Tat ist es für neugegründete Unternehmen, die keine Unternehmensgeschichte haben, schwierig einen Kredit im Senegal zu bekommen. Banken arbeiten lieber mit etablierten Unternehmen zusammen. Aber es gibt viele Programme von verschiedenen Gebern und demnächst auch der KfW, sodass derlei Finanzierungsprobleme gelöst werden können.

SenGermany: Es ist schlimm genug, wenn frisches Obst und Gemüse aus Marokko kommt, noch schlimmer ist es jedoch, wenn die Produkte unter den Bäumen verfaulen, weil sie nicht in Form von Marmelade, Saft oder Trockenfrüchten verarbeitet werden können. Auch in diesem Bereich fehlt das Wissen. Wie könnte ein Wissensaustausch mit deutschen Unternehmen aussehen, damit man im Senegal Mehrwert erwirtschaftet und neue Arbeitsplätze schafft?

Botschafter Röken: Ein Unternehmen, das Fruchtsaft oder Marmelade produziert, muss in der Lage sein, diese Produkte so herzustellen, dass sie auf den Märkten konkurrenzfähig sind. Das ist oft leichter gesagt als getan. Sie kennen z.B. den Erdnussmarkt. Hier wird seit Jahren versucht, die Erdnüsse in Senegal zu Erdnussöl weiterzuverarbeiten. Eigentlich eine sehr sinnvolle Sache. Wir wollen ja, dass Wertschöpfung in Senegal stattfindet. Wir müssen aber immer wieder feststellen, dass die Erdnussernten zu großen Teilen von Händlern, die bessere Preise bieten, aufgekauft werden. Warum soll ein Erdnussbauer für weniger Geld an die Erdnussölindustrie verkaufen, wenn er mehr Geld von den indischen bzw. chinesischen Exporteuren bekommt? Auch hier denke ich, dass betriebswirtschaftliche Probleme ursächlich sind.

SenGermany: Jetzt zum Thema Reintegration senegalesischer Staatsbürger aus Deutschland. Wir sind jetzt mindestens in der zweiten Generation. Bei SenGermany z.B. sind Kinder von Ingenieuren Ingenieure geworden und die Kinder von Wirtschaftswissenschaftlern Volks- und Betriebswirte geworden. Die gilt auch für Lehrer, Handwerker usw. Viele unserer Landsleute möchten ihr Wissen aus Deutschland in den Senegal einsetzen bzw. hier Unternehmen Gründen. Gibt es Programme für solche Rückkehrwillige?

Botschafter Röken: Senegalesinnen und Senegalesen, die in Deutschland arbeiten, bilden eine Brücke zwischen unseren Ländern, die auch wichtig für die wirtschaftlichen Beziehungen sind. Auch für senegalesische Staatsbürger, die in Deutschland leben, eröffnet die „Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung“ viele Möglichkeiten, ebenso wie die Unterstützungsprogramme der DEG und die geplanten KfW-Programme zur Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen.

 

4. Deutsch-Senegalesischer Wirtschaftstag von SenGermany e.V.

SenGermany: Unser Verein hat bereits drei Wirtschaftstage in Düsseldorf, Duisburg und Frankfurt am Main mit deutschen und senegalesischen Unternehmen organisiert, um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern zu fördern. Sollte man die nächste Veranstaltung im Senegal durchführen wollen, welchen Beitrag könnte die deutsche Botschaft leisten?

Botschafter Röken: Es kommen zahlreiche Unternehmerdelegationen verschiedener Verbände aus Deutschland hierher. Fördermöglichkeiten für derlei Reisen können Sie bei der Auslandshandelskammer in Ghana nachfragen, die für ganz Westafrika zuständig ist.

SenGermany: Was ist das Potential von Deutschland in Senegal?

Botschafter Röken: Das Potential hat sich in den letzten Jahren durch die erwähnte Reformpartnerschaft sehr stark vergrößert. Deutschland und Senegal arbeiten jetzt in vielen Sektoren eng zusammen. Die bilateralen Beziehungen sind zudem seit langem breit angelegt: Seit Jahren arbeiten hier deutsche politische Stiftungen und Kulturinstitutionen: die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Friedrich-Naumann-Stiftung. Dazu kommen im kulturellen Bereich das Goethe-Institut, der Deutsche Akademische Austauschdienst und das Deutsche Historische Institut. Auch politisch verbindet uns vieles: Senegal und Deutschland sind Partner in Mali bei der UN-Organisation MINUSMA. Wir teilen beide das Interesse an Stabilität und Sicherheit im Sahel. Es gibt klare gemeinsame Interessen beider Staaten, und das wird sich auch in den nächsten Jahren fortentwickeln.

SenGermany: …Doch kaum privatwirtschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern!

Botschafter Röken: Genau da greift die Initiative Compact with Africa, durch die Senegal sehr viel stärker in den Fokus der Wirtschaftsbeziehungen geraten ist. Senegal ist aus Sicht der Wirtschaft eines der interessantesten Länder in Westafrika. Daher rechne ich damit, dass deutsche Unternehmen, die sich künftig die Märkte in Westafrika anschauen, zuerst nach Senegal blicken werden.

Herr Botschafter, herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ibrahim Guèye

Botschafter Stephan Röken: Ein Dortmunder im Senegal

 

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