Interview mit Thomas Silberhorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Berlin

Thomas Silberhorn

Am 13. Januar 2016 haben wir mit Staatssekretär Thomas Silberhorn über die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Senegal gesprochen, über den Schwerpunkt Energie, aber auch über die Themen Dezentralisierung und Ernährungspolitik. 

Herr Staatssekretär, was ist der Unterschied zwischen Entwicklungszusammenarbeit im Bundestag und im Ministerium?

Silberhorn: Der Deutsche Bundestag begleitet unsere Arbeit intensiv. Er hat eine wichtige Kontrollfunktion. Außerdem wird unser Budget vom Parlament beschlossen. Das Ministerium arbeitet natürlich anders. Unsere Entwicklungszusammenarbeit ist in den multilateralen Rahmen der Vereinten Nationen, der OECD, EU und anderer eingebunden. Sie setzt aber vor allem starke Akzente in der Kooperation mit unseren Partnerländern. Die Umsetzung der Projekte vergeben wir in der Regel an unsere Durchführungsorganisationen, insbesondere die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Sie sind weltweit tätig, und zwar nicht nur in den Hauptstädten, sondern vor Ort, wo wir unsere Projekte realisieren. 

Die Bundesregierung hilft dem Senegal im Bereich nachhaltige Energie. In der Vergangenheit waren auch Dezentralisierung und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung Tätigkeitsfelder der deutsch-senegalesischen Zusammenarbeit. Sie haben mit einem Land zu tun, das extrem zentralisiert ist. Wie kann man einem solchen Land helfen, wenn man aus einem föderal aufgestellten Land wie Deutschland kommt? 

Silberhorn: Dezentralisierung ist eine riesige Aufgabe in vielen afrikanischen Ländern. In Afrika sind die Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaften der einzelnen Länder sehr groß. Das geht mit einer starken Zentralisierung in Staat und Wirtschaft einher. Wir haben in Deutschland die Erfahrung gemacht, dass mithilfe von Dezentralisierung Innovationen erleichtert werden und Entscheidungen stärker an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert sind. Dezentralisierung dient dazu, viele verschiedene Gruppen einzubinden. Das bedeutet, man kann Ungleichheiten stärker ausgleichen und unterschiedliche Interessen besser ausbalancieren. Und das ist es, was in  vielen Gesellschaften in Afrika notwendig ist. Demokratie lebt vom Ausgleich der Interessen, das ist ein ständiger Prozess über den Wahltag hinaus. Dazu gehört die Erkenntnis, dass die zentralstaatliche Ebene räumlich und gedanklich oft zu weit weg von der Bevölkerung und von entlegenen Teilen des Landes ist. In zahlreichen Partnerländern versuchen wir, die deutschen Erfahrungen in diesem Bereich vor dem Hintergrund unseres föderalen Staatsaufbaus einzubringen. Auch im Senegal waren wir in diesem Bereich lange aktiv und haben Einiges erreicht. 

Zum Thema Ernährungspolitik muss man sagen, dass die Bevölkerung Afrikas sich bis 2050 verdoppeln wird. Mit anderen Worten: Ihr Ministerium wird diese Aufgabe nicht allein bewältigen können. Kann man sich vorstellen, dass das BMZ die Privatwirtschaft in die Entwicklungspolitik einbezieht? 

Silberhorn: Natürlich machen wir das. Das ist auch dringend notwendig. Wir leisten einen Beitrag aus Steuermitteln als Official Development Assistance, und dasselbe gilt für die anderen Geberländer.  Die Industriestaaten haben eine Verantwortung, einen Teil ihrer Mittel für nachhaltige globale Entwicklung einzusetzen. Aber mit Geld allein kann man Entwicklung nicht befördern, und mit Steuermitteln allein wird man ein Land nicht nachhaltig entwickeln können. Dazu braucht man auch den privaten Sektor. Wir beziehen Unternehmen ausdrücklich in unsere Entwicklungszusammenarbeit mit ein, weil wir daran interessiert sind, dass Unternehmen verantwortlich in Entwicklungsländern investieren. Und wir legen großen Wert darauf, dass die Privatwirtschaft in Deutschland und Europa sich sehr viel stärker unserem afrikanischen Nachbarkontinent zuwendet, als es bis jetzt der Fall ist. Es gibt etwa 500.000 Unternehmen in Deutschland, davon sind nur 1.000 in Afrika engagiert. Das ist viel, viel zu wenig. Und deswegen muss auch die Wirtschaft in Deutschland einen größeren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent und weltweit leisten.

In welchen Bereichen sehen Sie Chancen für deutsche Unternehmen?

Silberhorn: Ich will nur ein Beispiel nennen, die Informations- und Kommunikationstechnologie. Es gibt heute etwa 700 Millionen Mobiltelefone in Afrika, in Europa 500 Millionen. Das heißt, der Markt in Afrika ist heute schon sehr viel größer als in Europa. Hier gibt es gewaltige Chancen für Innovation und Entwicklung – nicht nur quantitativ mit Blick auf das Bevölkerungswachstum, sondern auch, weil in Afrika die junge Bevölkerung mobil, flexibel und innovativ ist. Mobile Bezahlsysteme sind in afrikanischen Staaten heute schon sehr viel erfolgreicher als in Europa. In Kenia wird 60% des Bruttonationaleinkommens mit dem Bezahlsystem M-Pesa abgewickelt. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt. 

Eine weltweite Ernährungssicherheit scheint Ihnen am Herzen zu liegen?

Silberhorn: Wir sind überzeugt, dass die natürlichen Ressourcen vorhanden sind, um die Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren. Eine Welt ohne Hunger ist möglich. Das vorhandene Potenzial wird nur nicht ausreichend genutzt. Deswegen haben wir die Ernährungssicherung und die Bekämpfung von Hunger zu einer Priorität unseres Ministeriums gemacht. Mein Minister hat eine eigene Sondereinheit mit dem Namen „EINEWELT ohne Hunger“ gegründet. Sie sucht Lösungen für die gesamte Wertschöpfungskette in der Agrar-  und Fischereipolitik. Dazu gehören Themen wie Landrechte, Schutz von natürlichen Ressourcen, Zugang zu Finanzierung, Zugang zu Saatgut, nachhaltige Bewirtschaftung, Zugang zu den Märkten, Vermeidung von Nachernteverlusten und Ähnliches mehr. Generell brauchen wir gerade im Bereich der Landwirtschaft mehr Wertschöpfung und einen höheren Anteil der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern an der Wertschöpfung.

Damit rennen Sie bei der Messe Düsseldorf offene Türen ein, denn sie wird die Save Food-Ausstellung zum ersten Mal in Westafrika auf der Ernährungs- und Verpackungsmesse in Dakar am 9. April 2016 vorstellen und die Präsentation mit einer Konferenz zum Thema „Vermeidung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung“ koppeln. Hat „Save Food“  nicht die gleichen Ziele wie ihre Initiative „EINEWELT ohne Hunger“?

Silberhorn: Die Initiativen können sich sinnvoll ergänzen. In Berlin fand gerade die Grüne Woche statt, die größte Agrarmesse der Welt. Unser Ministerium hatte dort zum ersten Mal eine eigene Halle, weil wir die großen Entwicklungspotenziale in der Agrarpolitik und Agrarwirtschaft vieler Staaten nutzen können und müssen, um eine Welt ohne Hunger zu erreichen. Auf der grünen Woche haben wir gezeigt, wie das konkret mit unseren Partnern gehen kann.

Bernd Jablonowski

Bernd Jablonowski, Direktor der Save Food-Initiative erklärte den Teilnehmern des 2. Deutsch-Senegalesischen Wirtschaftsgipfels vom 8. November 2014 die Problematik der Lebensmittelverschwendung in der Welt.

Im Senegal geht mangels Mechanisierung 30% der Kartoffelernte verloren, weil sie entweder unter der Erde bleibt oder durch die Hacke beschädigt wird. Dazu importiert der Senegal 80% seines Kartoffelverbrauchs. 

Silberhorn: Wo welche Produkte angebaut werden, das muss vor Ort entschieden werden. Nicht überall ist die Kartoffelproduktion das Richtige. Natürlich braucht Landwirtschaft auch Mechanisierung. Inwieweit dies sinnvoll ist, hängt aber auch von den Standorten und der jeweiligen Bewirtschaftung ab. In unseren Vorhaben fördern wir vielfältige innovative Ansätze, um die Produktivität der Kleinbäuerinnen und –bauern zu verbessern.  

Das Thema Ausbildung von Technikern ist auch sehr wichtig.

Silberhorn: Deswegen müssen wir einen ganzheitlichen Blick auf die landwirtschaftliche Wertschöpfung haben und das miteinbeziehen. Wir legen großen Wert darauf, dass in der Landwirtschaftspolitik die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Mittelpunkt stehen, denn das ist die große Masse der Bauern. Sie brauchen eine Perspektive zum Überleben, und sie müssen eine Chance haben, aus der Subsistenzwirtschaft herauszukommen und für einen Markt zu produzieren. Eines der größten Hindernisse für die Landwirtschaft in vielen Ländern ist die mangelnde Chance von Kleinbauern, Land zu erwerben und Zugang zu Finanzierung, Saatgut und Beratung zu erhalten.

Grimme Landmaschinen

Die Firma Grimme Landmaschinenfabrik ist bereit in die technische Ausbildung der Landwirte im Senegal einzusteigen.

Sie haben das Thema Fischerei angesprochen. Das freut mich sehr, weil der Senegal zu den größten Fischproduzenten der Welt gehört. Aber man muss den Fisch auch kühlen, verarbeiten und konservieren können. Die deutsche Entwicklungspolitik unterstützt im Senegal Vorhaben zu erneuerbaren Energien, und es würde uns freuen, wenn die Fischereiindustrie berücksichtigt werden könnte, in Form von Eisproduktion mit Maschinen, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden

Silberhorn: Nachhaltige Energie ist der Schwerpunkt unserer deutsch-senegalesischen Entwicklungszusammenarbeit. Wir setzen uns unter anderem dafür ein, dass die Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges Energiesystem des Landes geschaffen werden. Das beinhaltet die Elektrifizierung von ländlichen Regionen, die Verringerung von Übertragungsverlusten beziehungsweise die Verbesserung der Energieeffizienz, aber auch die vermehrte Energieproduktion mit Hilfe von erneuerbaren Energien. Der Einsatz von Photovoltaik-Anlagen für die lokale weiterverarbeitende Industrie, in diesem Fall für die Eisproduktion von fischverarbeitenden Betrieben, ist in der Tat eine interessante Lösung, die wir uns gerade ansehen.   

Die senegalesische Regierung hat sich im Energiesektor sehr ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2017 sollen 60% der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität bekommen, und 20% davon sollen aus erneuerbaren Quellen stammen. Das wollen wir unterstützen. Die substantielle Verbesserung des Energiezugangs in Afrika ist übrigens auch bei der Afrikanischen Entwicklungsbank einer der wesentlichen Schwerpunkte des neuen Präsidenten. 

 „Die Herausforderung der nächsten Jahrzehnte ist, dafür zu sorgen, dass Added Value in Afrika und nirgendwo anders entsteht“, sagte mir ein Geschäftsführer in einem Interview. Und im selben Jahr ließ er sogar einen Lehrgang für senegalesische Unternehmen in seinem Unternehmen durchführen, damit sie lernen, wie man Fische besser verarbeiten und verpacken kann, damit sie länger halten. 

Silberhorn: Aber man muss in diese Veredelung und Weiterverarbeitung auch die Bauern und die Fischer miteinbeziehen. Also die erfolgreichen Bauern in Deutschland sind diejenigen, die nicht nur ihren Acker bestellen, sondern auch in der Genossenschaft sitzen, die die Weiterverarbeitung macht. Das sind auch Beschäftigungsalternativen für die Landwirtschaft. Wenn im Senegal 70% der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, dann  sollte das Ziel sein, einerseits marktfähig zu werden und andererseits Beschäftigungsalternativen im ländlichen Raum zu entwickeln. Diese können insbesondere in der Weiterverarbeitung von Agrar- und Fischereiprodukten liegen.

Bernd Jablonowski

Unternehmen können Maschinen anbieten und ausbilden. Für den Rest, wie zum Beispiel für Förderung von Genossenschaften, brauchen wir eine politische Flankierung. Wie könnte das Ministerium dabei helfen?

Silberhorn: Wir versuchen, deutsche Investoren auf dem Weg in unsere Partnerländer zu unterstützen. Manchmal kann schon ein Austausch sehr hilfreich sein, aber das BMZ hat auch Förderinstrumente, die für Firmen in Frage kommen.

Thomas Silberhorn et Ibrahim Gueye

Der parlamentarische Staatsekretär, Thomas Silberhorn, hat  seine Teilnahme am 3. Deutsch-Senegalesischen Wirtschaftsgipfel vom 4. November 2016 bestätigt. 
 

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ibrahim Guèye

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